Die schreckliche Pandemie am Ende des Ersten Weltkriegs
In mehreren Wellen schwappte vom Frühjahr 1918 bis Anfang 1919 die Spanische Grippe um die Welt. Mit weltweit auf 20 bis 50 Millionen geschätzten Toten forderte sie mehr Opfer als der Erste Weltkrieg.
Die Schweiz registrierte 1918/19 744‘000 Grippe-Erkrankte und rund 24‘500 Tote. In den WERDENBERGER GESCHICHTE|N 2, die Ende November 2019 erscheinen, wird das Thema vom Historiker Josef Gähwiler auch in seinen Bezügen zum Werdenberg aufgearbeitet. Nachfolgend ein paar Müsterli aus seinem Beitrag.
Schnaps schützt vor Grippe nicht
Wie die Bevölkerung sich vor der Grippe zu schützen versuchte, kann man folgender Meldung im W&O vom 14. August 1918 entnehmen: «Noch ist die Meinung weit verbreitet, dass man sich durch reichlichen Genuss namentlich heisser und starker geistiger Getränke gegen die Grippe schützen könne. Wer zu seinem Schaden in diesem Wahn befangen ist, mag sich durch die untenstehende Erklärung hervorragender st.gallischer Aerzte, zu deren Veröffentlichung wir ermächtigt worden sind, eines Besseren belehren lassen: Es ist eine längst erwiesene Tatsache, dass die alkoholischen Getränke die Widerstandskraft des Körpers gegen Infektionen herabsetzen; es ist also ganz falsch zu glauben, dass Alkohol, insbesondere Schnaps, vor der Grippe schütze. Im Gegenteil kann der infolge des reichlichen Alkoholgenusses geschwächte Organismus dem eindringenden Bazillus den erforderlichen Widerstand nicht leisten. In Epidemiezeiten ist die strengste Nüchternheit notwendig.»
«Nüchterne Lebensweise in jeder Beziehung»
Auch andere Vorsichtsmassnahmen wurden empfohlen: «Darum ist es rätlich, auch künftig ohne Zwang Orte zu meiden, oder nur so lange als nötig aufzusuchen, wo viele Menschen verkehren und die persönlichen Schutzmassnahmen (fleissige Mund-, Zahn- und Nasenpflege, Verzicht auf den Handschlag, Vorsicht beim Husten, Niesen und Sprechen, häufiger Wechsel des Taschentuchs, nüchterne Lebensweise in jeder Beziehung, Körper- und Gesundheitspflege und Reinlichkeit im Allgemeinen) auch weiterhin gewissenhaft zu befolgen.» Zudem sei auf Versammlungen und Tanzbelustigungen zu verzichten, «weil der intime Verkehr der Menschen» gefährlich sei, «besonders weil es sich dabei meist um junge Menschen handelt, welche besonders gern und schwer erkranken».
Rauchen erwünscht
In einer andern W&O-Ausgabe war zu lesen: «In den vielen Verwaltungsbureaux der Bundesstadt darf entgegen den bisherigen Vorschriften nun geraucht werden, da das Rauchen als Vorbeugungsmittel gegen die spanische Grippe gilt. Mancher höhere Vorgesetzte, der bisher strenge Handhabung und Beachtung des Rauchverbotes verlangte, raucht nun selbst und hat an die Angestellten schon morgens bei Arbeitsbeginn persönlich Rauchmaterial ausgeteilt.»