Rudolf Burgäzzi, ein Seveler der frühen Neuzeit

Das WGL-Mitglied Oliver Berggötz aus Wandlitz bei Berlin ist seiner Familiengeschichte nachgegangen und dabei auf seinen Vorfahren namens «Ruodi Pergetzi» gestossen.

Dr. OLIVER BERGGÖTZ, Wandlitz bei Berlin

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Ruodi Pergetzi beziehungsweise Rudolf Burgäzzi (vor 1500 bis zirka 1575), dem ersten Vertreter seines Familiennamens in Sevelen. Ein glücklicher Zufall der Überlieferung lässt uns erfahren, wann die Familie Burgäzzi nach Sevelen gekommen ist, nämlich im Jahr 1513. Rudolf taucht – obwohl er ein einfacher Mann war – erstaunlich oft in den Quellen auf. Dies ist der eine Grund, sich mit ihm etwas näher zu befassen. Der andere ist ein ganz persönlicher des Verfassers: Meine Familie wanderte nach dem Dreissigjährigen Krieg aus Sevelen nach Südwestdeutschland aus, und ich kann mich mit gutem Recht als seinen Nachfahren betrachten. Mein seit langer Zeit bestehendes Interesse an familiengeschichtlichen Fragen erhielt gewaltigen Auftrieb, als 2017 der durch umfangreiche Regesten erschlossene Inhalt der sogenannten Werdenberger Kisten im Landesarchiv Glarus ins Netz gestellt wurde. Die Bekanntschaft damit wie vieles andere verdanke ich dem aus Sevelen stammenden Historiker Werner Hagmann. Überhaupt bin ich von der Hilfsbereitschaft der mit der Region beschäftigten Forscher ausserordentlich beeindruckt. Erwähnen möchte ich Mathias Bugg, Heinz Gabathuler, den 2021 verstorbenen Martin Graber, Beat Mahler, Sibylle Malamud, Hans Stricker, Claudio Stucky und den ebenfalls 2021 verstorbenen Valentin Vincenz.

Die Kenntnis des Jahres 1513 entnehmen wir der Zeugenaussage des Rudolf Burgäzzi vom 6. Mai 1549 in Werdenberg. Darin hielt er fest, dass er ungefähr fünfzig Jahre alt und vor 36 Jahren aus dem Sarganserland nach Sevelen gekommen sei (Abb. 1, die Reproduktion seiner Aussage). Mit Gewissheit lässt sich seine exakte Herkunft nicht bestimmen, aber vieles spricht dafür, dass er aus Ragaz zugewandert war. Dort lässt sich die Familie 1450 in den Quellen festmachen (Urbar der Kirche von Ragaz, OGA Ragaz 04.07.23; den Hinweis verdanke ich Claudio Stucky). Der Name leitet sich her vom Heiligennamen PANCRATIUS, der zurückgeht auf griech. PANCRATES ‘allmächtig, sehr stark’. «Der zu den ältesten Heiligenverehrungen der Stadt Rom zählende Kult breitete sich über weite Räume aus, tritt jedoch nirgends in grosser Dichte hervor. In Graubünden erscheint das Patrozinium in Sogn Parcazi in Trin, dann auch in Tinizong; die in Rätien bezeugten Namenformen gehen auf die Grundformen BARCACIUS […] und (jünger) BRANCATIUS […] zurück.» (Nach Hans Stricker et al., Liechtensteiner Namenbuch, Die Personennamen des Fürstentums Liechtenstein, Bd. 3, [2008], S. 48f.). Die Ragazer Pfarrkirche (Abb. 2) besitzt das Patrozinium des frühchristlichen Märtyrers Pankratius, von dessen Name Burgäzzi/Pargätzi abzuleiten ist (vgl. auch Franz Perret, Die Geschlechter der Landschaften Sargans und Werdenberg [1950], S. 61).

Eigenleute des Klosters Pfäfers
Die 1543 aus den Quellen verschwindenden Ragazer Pargätzi (StiAPf, V. 3. d. Nr. 5) waren Eigenleute, also Leibeigene, des Klosters Pfäfers (Abb. 3 und 4). Auch die frühen Seveler Burgäzzi waren persönlich unfrei und Abhängige dieses Klosters, das am Seveler Berg die beiden Höfe sein Eigen nannte (Abb. 5). Als Pfäfers 1615 den Lehensbrief für seine Lehensleute in Sevelen erneuerte, wird Christen Burgäzzi – er dürfte ein Enkel des Rudolf gewesen sein – explizit als Lehensmann genannt (StAPf, V. 17 a. Nr. 1). Es ist also gut möglich, dass Rudolf als Abhängiger des Klosters Pfäfers seinen Weg nach Sevelen gefunden hat, und zwar in recht jungen Jahren. Die genauen Beweggründe bleiben im Dunkeln.

Kommen wir zu den weiteren Quellen, in denen Rudolf erwähnt wird. Erstmalig fassbar wird er 1530 als einer der Vertreter der Gemeinde Sevelen. Diese kaufte damals für 150 Gulden von Glarus auf Seveler Gemarkung die bereits gepfändete Alp Plattegg (Abb. 6) (Rechtsquellen der Region Werdenberg, SSRQ SG III/4 Nr. 45, Kommentar), auch Implategg genannt (siehe Hans Stricker, Werdenberger Namenbuch, Bd. 2 [2017], S. 277). Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts erwarben Gemeinden oder auch Private von den jeweiligen Grundherren die Alpen durch Kauf oder Erblehen. Implategg grenzt südlich an die Korporationsalp Inarin und wurde dann mit dieser Alp zusammengelegt. 1549 erwirkte Rudolf als einer der beiden Vertreter der Seveler «Stafelgenossen» – also der Teilhaber an der Alp – die Zustimmung des Glarner Landvogts für eine Satzung der Alp Inarin (Edition: SSRQ SG 3,4 Nr. 125). Es handelt sich hier um eine der wenigen erhaltenen Alpordnungen dieser Zeit aus der Region Werdenberg.

Weitere frühe Seveler Burgäzzi können mit Alpen in Verbindung gebracht werden. 1572 besassen auf der Alp Egg im Calfeisental Fridli Burgäzzi einen Stoss und die Kinder des Simon Burgäzzi eineinhalb Stösse. Beide waren wahrscheinlich Söhne des Rudolf. Bei Simon kann man spekulieren, dass er bereits tot war, worauf ich noch zurückkomme. Die Kenntnis dieser Belege aus dem Alpbuch Egg im Korporations-Archiv Erasmus in Fontnas verdanke ich Heinz Gabathuler. 1612 gehörte Jakob Burgäzzi zu den Abgesandten der Gemeinde Sevelen, die 16 Stösse der ebenfalls im Calfeisental gelegenen Bantligenalp (Malanseralp) an die Gemeinde Malans verkauften (GA Malans Nr. 65; StAGR, A 1/18f Nr. 11).

1539 pfändete Rudolf als Vogt der zur Grafschaft Werdenberg gehörenden Kapelle St.Ulrich am Seveler Berg für diese Kirche (und nicht als Privatmann) von Gallus Roduner und seiner Ehefrau Getta Göldin das Gut Schwendi in Sennwald um zwanzig Pfund gegen einen jährlichen Zins von einem Pfund (LAGL, AG III.2408:022 – hier Verwechselung mit Schwendi in Sevelen). Aus diesem Dokument können wir ausserdem herauslesen, dass Rudolf in St.Ulrich ansässig war (Abb. 7 und 8).

1542 gehörte er zu den Vertretern von Werdenberg. Damals wurde eine Übereinkunft zwischen dem Landvogt von Sargans und dem Landvogt von Werdenberg wegen der Konfessionszugehörigkeit in Wartau geschlossen (StAZH, B VIII 300c, Nr. 14c ; ediert bei: Ulrich Reich-Langhans Beiträge zur Chronik der Bezirke Werdenberg und Sargans [1921], S. 169–170). Da Sevelen sich seit 1532 komplett der reformierten Glaubensrichtung zugewandt hatte, ist davon auszugehen, dass Rudolf Burgäzzi ebenfalls evangelisch geworden war. In Wartau hingegen wollte ein kleiner Teil der Einwohnerschaft weiterhin katholisch bleiben, worum es 1542 ging.

1549, ich kam bereits am Anfang auf dieses Dokument zu sprechen, war Rudolf unter den Werdenberger Zeugen bei den Kundschaften über den Wildbann in Wartau (LAGL, AG III.2430:050, Zeugenaussagen in Werdenberg am 6. und 7.05.1549). Der «Wildbann von Wartau» steht – wie auch eine weitere, wenige Wochen später am 4. und 5. Juli 1549 in Sargans aufgenommene Kundschaft (LAGL, AG III.2430:048) – mit seinen Zeugeneinvernahmen und der Auswertung verschiedener Dokumente wohl im Vorfeld eines am 20. März 1550 zwischen Glarus und den das Sarganserland regierenden Orten geschlossenen Vertrags. In diesem fanden alle grösseren und kleineren Streitigkeiten ihre Erledigung. Die Vögte beriefen sich auch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder darauf (Edition: SSRQ SG 3,2 Nr. 154a).

Liechtensteiner Bargetze
1563 ging Rudolf zum Werdenberger Landvogt Jakob Schuler, als wohl im Oktober sein Sohn Hans Burgäzzi und wenige Tage darauf dessen Sohn Simon gestorben waren, um die Interessen seiner Familie zu vertreten. Sohn und Enkel hatten in Triesen (Abb. 10) gewohnt (LAGL, AG III.2417:029 vom 01.11.1563, Schreiben des Landvogts an Landamman und Rat zu Glarus). Es kam zum Streit zwischen Werdenberg und Vaduz um den Fall, weil Hans sich von der Werdenberger Leibeigenschaft nie gelöst hatte und Simon, dessen Mutter aus Triesen stammte, noch nicht einer der Leibeigenschaften zugeteilt war – wie das bei Kindern aus gemischtterritorialen Ehen Brauch war. Leider lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren, wie der Streit ausgegangen ist. Der Fall oder Todfall war das Relikt eines ursprünglich vollen Erbrechts des Grundherrn am Nachlass seiner Eigenleute. Hans muss weitere Söhne gehabt haben, denn die Liechtensteiner Bargetze in Triesen dürften sich auf ihn zurückführen (vgl. die frühen Belege bei Hans Stricker et al., Liechtensteiner Namenbuch, Die Personennamen des Fürstentums Liechtenstein, Bd. 3, [2008], S. 48f.).

1575 war Rudolf tot. Wiederum entzündete sich ein Streit um den Fall, da auch Rudolf sich offensichtlich nie von der Leibeigenschaft gelöst hatte und auch nicht Glarner Eigenmann geworden war. Da seine Söhne vermutlich bereits gestorben waren, wurde er von seinem Enkel Jakob vertreten. Von Hans haben wir dies aus dem Jahr 1563 und von Simon aus dem Jahr 1572 erfahren. Unklar bleibt mir in diesem Vorgang, welche Rolle der «Schgamp von Rhäzüns» spielte, der von Jakob den Fall einforderte. Dies war der Anlass für das Schreiben des Werdenberger Landvogts Kaspar Strebi an den Glarner Landamman Melchior Hässi (LAGL, AG III.2417:037 vom 30.06.1575).

Rudolf wird in insgesamt sieben verschiedenen Texten erwähnt. Mehrfach war er in offizieller Mission unterwegs. Es erstaunt, dass ihm das als eigentlich Ortsfremdem gelang. Er dürfte bei seinen Zeitgenossen in Ansehen gestanden haben.